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Village Culture Walk – ein deutsch-dänischer Dorfspaziergang durch Højer

Auf ins Dorf

Der Reisebus ist voll – bis auf den letzten Platz mit Künstlern, neugierigen Besuchern, Theatermachern und Studenten aus Flensburg und Quern besetzt. Anschnallen bitte! Die Türen gehen zu, die Klimaanlage an. Und damit auch das Hörspiel, was alle auf das bevorstehende Abenteuer einstimmen soll.  Mit Erfolg. Der Bus verlässt Flensburg und nimmt die rastlosen Reisenden mit aufs Land. Über Dörfer von gestern und vor 50 Jahren erzählt eine Stimme aus der Plastik-Verkleidung über den Sitzen, mal auf Deutsch, mal auf Dänisch. Über Dörfer, die heute so nicht mehr da sind. Die nur noch in Erinnerungen und Erzählungen von Dampfloks und Eisenbahnen verbunden sind und wo heute Asphalt ist, während wir nachdenklich über die Bundesstraße rauschen.

Der Bus fährt vorbei an Mastställen, Industrie und Feldern, als die Stimme aus dem Hörspiel von multiresistenten Keimen aus der Tierzucht und monopolisierter Landwirtschaft ein überspitztes Bild eines totindustrialisierten Dorfes von heute zu zeichnen versucht. Empörung raunt durch die Sitzreihen. Platznachbarn tauschen ungläubige Blicke aus. Das ist das Dorf von heute? Bevor die Reisenden die Polemik des Hörspiels enttarnen können, waren sie schon mittendrin: im Village Culture Walk. Im Dorf.

Pink-Grün ist das neue Rot

Angekommen. Die zwei Busse spülten Städter und Dorfbewohner auf dänisches Kopfsteinpflaster. Am Dorfplatz vor der historischen holländischen Windmühle versammelte sich bereits eine neugierige Meute. Hier und dort blitzte etwas pinkes und grünes hervor. Die Farben sollen den Tag gestalten und ein roter Faden durch die ländliche Idylle sein.

Nach freudiger Begrüßung durch die Initiatoren Rick Towle und Folke Witten, sowie einer geschichtlichen Einstimmung auf Højer durch die Leiterin des Højer Mühlenmuseums, geht es auch schon los. Der Village Culture Walk. Dorf. Kultur. Spaziergang. Und genau das ist auch passiert. In Gruppen aufgeteilt wurden die Besucher und Bewohner losgeschickt, das Dorf auf eigene Faust zu erkunden. Dabei half der grün-pinke Faden, Luftballons und ein Culture Walk Plan, der zu den sechs wichtigsten Stationen führte.

Von der Verhüllung des einstigen Textilladens, über eine Pop-Up Gallery der Højer Design Efterskole, bis hin zu einer Klanginstallation im „Højer Record Store“, dem Dorfentdecker wurde einiges geboten. Pink, Grün und voll allem musikalisch: Zahlreiche Straßenmusiker führten mit ihrer Musik die Zuschauer durch die Straßen. Nach einem Stopp in der Kirche, wo erst der Querner Posaunenchor, dann der Pastor und dann das dänische Jazztrio Mighty Mouse auftrat, ging es in den Rathausgarten. Bunte Flaggen säumten die Allee, die zur deutsch-dänischen Freiluft-Kaffeetafel führte. Die Fahnen wurden von Schulkindern aus Højer und Steinbergkirche entworfen und gemalt. „Die Kinder sind richtig stolz, die Kunstwerke hier ihren Eltern zeigen zu können – und den Kindern von der anderen Seite der Grenze“, erklärt Mit-Initiator Rick Towle, der mit den Kindern die Workshops gestaltet hat.

„Kunst- und Dorf-Entdeckung“

Die Design Efterskole in Højer hat viel experimentiert wie man Højer neugestalten kann, durch Events, aber auch durch und mit Design und Architektur, um eine neue „Dorf-Erfahrung zu kreieren“, erzählt Rick Towle. Auch die Kunstwerke aus Steinbergkirche, die Flaggen und das Artwork der Schüler, sind in ganz Højer zu sehen. Das wird bei einer Kutschfahrt durch den Ort besonders deutlich: mal hängen pinke Schuhe zwischen den Häusern, mal die Entwürfe der Dorfwappen der Schüler. Als die Grundschüler aus Højer auf der Pferdekutsche aufgeregt zu schreien anfingen, während sie an ihren selbstgemalten Bildern vorbeifuhren, war für Rick Towle klar: „Das ist der Beginn von etwas ganz Besonderem.“ Denn auch die Einstellung der Kinder zu ihrem Wohnort hat sich geändert. „Sie sehen Højer jetzt mit anderen Augen. Sie haben viel über ihr Dorf gelernt, waren draußen im Nationalpark Wattenmeer und haben Design-, Kunst-, Biologie und Geschichtsunterricht unter einem Thema vereint. Sie haben viel gespielt und etwas geschaffen, auf das sie wirklich stolz sind, weil sie die Chance hatten, ihren Ort in einer neuen und kreativen Art und Weise zu „benutzen“. Wir und die Kinder sind sehr stolz auf diese Einzigartigkeit.“

Grenzüberschreitender Kulturaustausch

Die Gastfreundschaft der Bewohner Højers  war im ganzen Ort zu spüren. Die Flensburger Band „Marten Threepwood & Das Leben“, berichtet davon ebenso wie Theater-Studenten der Europa-Universität Flensburg. Rick Towle würde dies gerne zum Ansatzpunkt nehmen um eine weitere Zusammenarbeit zwischen Quern, Steinbergkirche, Flensburg und Højer zu etablieren. Die Gastfreundschaft und die gute Zusammenarbeit mit den Bewohner Højers hat ihn inspiriert. „Jetzt wo wir eine Verbindung hergestellt haben, wo Deutsche nach Dänemark gekommen sind, würden wir gerne die Kinder aus Højer mit nach Steinbergkirche und Flensburg bringen.“ Für ihn ist es der Beginn eines grenzüberschreitenden Kulturaustausches, wo Dörfer sich gegenseitig beeinflussen und aufeinander wirken können. 

Auch der Schauspieler Arno Sudermann hat sich lange mit der Thematik „Dorf“ auseinandergesetzt. „Die Dörfer machen momentan große Veränderungen durch, viele Leute ziehen in die Städte. Die Dörfer werden leer.“ Er geht mit dem „Institut für theatrale Angelegenheiten“ den Fragen nach dem Warum nach. Warum wandern so viele Menschen in die Stadt ab? Was kann man dagegen tun, diesem Trend entgegen zu wirken? Und für Arno besonders wichtig: Wo wären Ansatzpunkte um wieder kulturell Identität zu stiften? Einen Ausschnitt aus dem Theaterstück „Das Dorf“ von 2017, gab das „Institut für theatrale Angelegenheiten“ mit Arno Sudermann, Carolina Walker und Mathis Schwormstede beim Village Culture Walk auf dem Marktplatz vor der Kirche zum Besten. Für Mathis Schwormstede, der neben der Schauspielerei in Flensburg Lehramt studiert, ging es auch um eine künstlerische Kollaboration und darum die Deutschen und Dänen zusammenzuführen. „Es ist quasi eine Künstler- und Nationen-Zusammenführung auf ländlichem Raum.“

Die Vision

Die Initiatoren Folke Witten und Rick Towle haben eine Vision: Dem Dorf eine neue Rolle und Identität zuzuweisen. „Besonders wenn man an die Grenzregion denkt. Man hat das Gefühl es ist hier viel internationaler als in der Hauptstadt Kopenhagen“, erzählt Rick Towle. Die Dörfer seien ein „cooler Ort zum Leben“. Gemeinsam möchten die Künstler andere Dörfer inspirieren. „Wir wollen den Menschen zeigen, wie schön und lebendig man ein Dorf gestalten kann. Das Potential, was in den Dörfern steckt, wirkt wie ein kultureller Dynamo.“

In Højer, Quern und Steinbergkirche haben die Künstler und Mitwirkenden das Potential bereits entdeckt. Über 150 Kinder von der ersten bis zur zehnten Klasse aus Deutschland und Dänemark haben sich im Rahmen der Village Art Projekte mit dem Thema Dorf auseinandergesetzt. Wenn es nach Rick Towle gehen würde, so könnte aus dem Village Art Projekt und Culture Walk ein ganzes Festival zum Thema Dorf entstehen.

Text und Fotos: Anna Hansen

Das Projekt „Village Art“ ist ein KursKultur-Projekt.

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Veröffentlicht

18.06.2019